Wie bereits Anfang dieses Jahres durch die Presse bekanntgegeben, soll der Bahnhof Wilhelmshöhe in Kassel Ende 2021 Videoüberwachung erhalten. Die hier geplante Videoüberwachung, welche im Rahmen einer Sicherheitspartnerschaft durch Bundespolizei und Bahn betrieben werden soll - auch hier wieder forciert durch die SPD gleich dem Vorhaben des sozialdemokratischen Oberbürgermeisters Christian Geselle - erscheint den Befürwortern dieser Maßnahme als dringend notwendig und längst überfällig, wie der bisherigen Berichterstattung zum Thema zu entnehmen ist. Taschendiebstähle und Körperverletzungen sowie gravierende Delikte wie bspw. der tragische Tod eines Kindes am Frankfurter Bahnhof im Juli 2019, sind gegenwärtige Argumente einer erweiterten Inbetriebnahme und Ausdehnung von Überwachungskameras an Bahnhöfen. Während Videoüberwachung als Unterstützung polizeilicher Ermittlungsarbeit bzgl. Kriminaldelikten an Bahnhöfen durchaus konstruktiv diskutiert werden kann, lassen die hervorgebrachten als notwendig formulierten Ziele einer Überwachung und die diesbezügliche Berichterstattung zu diesem Thema teils sehr zu wünschen übrig. Wieder wird Videoüberwachung konsequent als „Wundermittel“ gepriesen, wobei jegliche kritischen Aspekte solcher Überwachungsprojekte außen vor bleiben. Schaut man zudem den Berichterstattern zur Thematik genauer auf die Finger, lassen sich auch schnell handwerkliche Fehler erkennen, wobei wir diesen Boulevardblattniveau zu attestieren geneigt sind:
Im Audiobeitrag der Hessenschau vom 06.01.2020 verlautbart der Sprecher zum geplanten Einsatz von Videoüberwachung:
„Ein Drama wie im Juli in Frankfurt, wo eine Mutter mit Kind vor einen Zug gestoßen wurde, soll so verhindert werden.“
Bedauerlicherweise hat Videoüberwachung diese Katastrophe nicht verhindern können. Dies sollte den Hessenschau Reportern eigentlich aufgefallen sein, spätestens als sie im auf den Audiobeitrag folgenden Text von dem Vorhandensein von Videoüberwachung am Bahnhof Frankfurt schreiben.
Weiter sind Sicherheit und Sicherheitsgefühl auch in dieser geplanten Maßnahme wieder einmal Stichworte und Taktgeber einer Durchsetzung von erneuten Überwachungsbefugnissen und einer damit einhergehenden erhofften Akzeptanz von Videoüberwachungen auf Seiten der Bevölkerung respektive der Nutzerinnen und Nutzer des Bahnhofs Wilhelmshöhe. Gefragt wird hier auch scheinbar gar nicht erst nach einer tatsächlichen Kriminalitätsstatistik oder einer „empirisch“ belegbaren Notwendigkeit. Taschendiebstähle beispielsweise legitimieren unserer Meinung nach längst keine „präventive Videoüberwachung“, solchen Delikten entgegen wiegt eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts aller Bürgerinnen und Bürger durch massiven Ausbau von Videoüberwachung weitaus mehr. Körperverletzungen sind, wie an anderer Stelle bereits betont, selten geplante und auf Lokalisierungen bezogene tatrationale Delikte, welche durch Videoüberwachung verhindert werden (könnten). Um es auch in diesem Kontext noch einmal hervorzuheben, „Kriminalitätsschwerpunkte“ bedürfen selten und wenn überhaupt nur einer dezidiert geplant und gestalteten sowie streng evaluierten Videoüberwachung, ansonsten ist diese Maßnahme als „Ausweichsregelung“ identifizierbar, wobei dieser vorgelagert immer eine Bearbeitung und Bewältigung von Ursachen potentieller Konflikte zu stehen hat, um diese sich überhaupt gar nicht erst entwickeln zu lassen. Der Ausbau des Bahnhofs Wilhelmshöhe mit Videoüberwachungssystemen ist im Ensemble gegenwärtiger Überwachungsinstrumentarien lediglich präventives Agieren, ein Schustern an den ewig gleichen und auch durch stetes Wiederkäuen nicht „gesicherten“ Koordinaten „Sicherheit“ und „Sicherheitsgefühl“.
Aufmerksamen Nutzerinnen und Nutzern des Bahnhofs Wilhelmshöhe mag es nicht entgangen sein, daß sich an den Bahnsteigen tatsächlich schon Videokameras befinden. Diese dienen in erster Linie zu betriebstechnischen Beobachtungen seitens der Bahn sowie dem Überblick zu Ein- und Ausstiegsszenarien. Doch auch auf diese Kameras kann die Bundespolizei bei Bedarf längst zugreifen. Die hier angekündigte Einführung von Videoüberwachung ist somit vielmehr eine Erweiterung, ein Ausbau von Überwachungsräumen. Durch das Bundespolizeigesetz wird die Bundespolizei de jure in die Lage versetzt, an Anlagen und Einrichtungen der Bahn „selbsttätige Bildaufnahme- und Bildaufzeichungsgeräte“ einzusetzen. Dabei kommt das von der Bahn gepriesene Produkt „Betriebsgeführte Videoüberwachung“ zum Einsatz, welches von der Bahn an entsprechende Stellen verkauft wird. Entgegen einer Einführung von Videoüberwachung am Bahnhof Wilhelmshöhe geht es hier in der Diskussion also vielmehr um das Ausmaß des Umbaus von Überwachungsinfrastruktur, die Erweiterung oder die Neustrukturierung von Videoüberwachung - Videoüberwachung unter neuen Vorzeichen. Für den Bahnhof Wilhelmshöhe ist dann zumindest eine Ausweitung von Videoüberwachung auf den gesamten Vorplatz, den Eingangsbereich sowie die Auf- und Abstiege zu den Gleisen erwartbar.
Die Aufnahmen der Überwachungskameras werden von der Bundespolizei gespeichert, welche eine vertragliche Datenverarbeitung mit der Bahn vereinbart. Der Gesetzgeber hat der Bundespolizei eine Speichermöglichkeit der Videoaufnahmen bis zu einem Monat ermöglicht. I.d.R. wird bei solchen Vorhaben eine Einschätzung der Bundespolizei gegeben, wobei eine Videoüberwachung „erforderlich, angemessen und verhältnismäßig“ zu sein hat. Als Bezugspunkte dienen hierbei die Kriminalitätsstatistik als auch das quantitative Aufkommen an Fahrgästen.
Um einen Ausblick zu wagen soll hier gleich ein Verweis auf neue biometrische Verfahren im Rahmen von Videoüberwachung aufmerksam gemacht werden. Wie weiter oben bereits angedeutet, scheint aus den Reihen der Sozialdemokratie immer weniger zu erwarten zu sein, wenn es um das Verhindern eines Ausbaus von Videoüberwachung geht. Zumindest bisher stellt sich Saskia Esken noch gegen einen Gesetzentwurf aus dem Bundesinnenministerium, welches unter Horst Seehofer Videoüberwachung mit Gesichtserkennung u.a. an Bahnhöfen ausbauen möchte siehe hier.
Im Kern geht es um eine Kompetenzerweiterung durch einen Gesetzentwurf des Bundesinnenministeriums, in welchem eine Ausdehnung der Zuständigkeiten und Befugnisse der Bundespolizei auf das ganze Land gestaltet werden soll. Videoüberwachung mit Gesichtserkennung wurde im Rahmen eines Pilotprojekts am Berliner Bahnhof Südkreuz getestet und mit schöngerechneten Ergebnissen als Erfolgsprojekt verkauft. Videoüberwachung mit Gesichtserkennung greift massiv in Freiheitsrechte und Selbstbestimmungsmöglichkeiten der Nutzerinnen und Nutzer im öffentlichen Raum ein, dieses Vorhaben torpediert radikal die Möglichkeit, sich frei und unbeobachtet außerhalb der eigenen vier Wände bewegen zu können. Es stellt alle Bürgerinnen und Bürger – gleich einer Vorratsdatenspeicherung - unter Generalverdacht, es erschafft völlig neue Dimensionen im Hinblick auf die Generierung und Archivierung von Bewegungsprofilen und würde mit einer Einführung eine erhebliche Beschädigung unserer Freiheitsrechte bedeuten, wodurch uns als Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit und das Recht auf Privatsphäre und Bewegungsfreiheit im öffentlichen Raum weitestgehend genommen wird.
Sollte dieses Instrument der Beschädigung unserer Bürgerrechte Anwendung finden, ist es auch für Kassel und den Bahnhof Wilhelmshöhe von Belang. Für die kommende Stadtverordnetenversammlung am 02.11.2020 in Kassel, hat die Fraktion FDP, Freie Wähler, PIRATEN einen Antrag zum Verzicht auf automatisierte Gesichtserkennung eingereicht.
Zum Thema der automatisierten Gesichtserkennung hat sich ein Bündnis aus zivilgesellschaftlichen Organisationen formiert, welches umfangreiche Informationen zum Gegenstand sowie Handreichungen und Hilfestellungen bietet, um gegen dieses obszöne Überwachungsprojekt aktiv zu werden. https://www.gesichtserkennung-stoppen.de